Geschichte
Nr. 1:
Es war einmal im Lindenthal
oder "Klein Peter sucht Mama!"
Gut zehn Jahre nach
Kriegsende bekamen meine Eltern 1957 eine Wohnung
in der Lindenthalstraße in Murnau am Staffelsee. Dort waren
die
sogenannten Zweckverbandshäuser für den sozialen
Wohnungsbau.
Wir wohnten in der Hausnummer 25. Mein Vater, der gehbehindert war,
arbeitete in Heimarbeit als Goldschmied für die Firma
Ackermann
aus Murnau und Hemmerle aus München, meiner späteren
Ausbildungsstätte zum Goldschmied. Oft brachte ich die fertige
Arbeit meines Vaters zu Ackermanns in die Dr.-Seitz-Straße
und
bekam dafür von Frau Ackermann immer eine Tafel
Milka-Schokolade.
Mein Vater Adolf
(1930 - 2003),
litt an den Folgen einer spinalen Kinderlähmung. Beide Beine
waren
gelähmt. Er erlernte den Beruf des Goldschmieds in
Dießen am
Ammersee bei der Firma Denzle. Er konnte sich
damals entscheiden
zwischen Schneider und Goldschmied, beides "sitzende" Berufe. Mein
Vater war gebürtiger Weilheimer, wie auch mein
Großvater (auch Adolf 1901 - 1984),
der beim Weilheimer Tagblatt den Beruf des Stereotypeurs
(Schriftsetzer) lernte und später zur Druckerei Huber nach
Dießen kam. Ich wurde in Wartaweil bei Herrsching am Ammersee
(gegenüber von Dießen) geboren. Mein Vater bekam
später
in Murnau eine Arbeitsstelle bei der Firma Ackermann und so zogen wir,
ich war noch ein Baby, nach Murnau in die Asamallee 1.
Großvater Adolf Kreitmeir
Meine Mama
Hendrina (1931 - 2011)- sie war meine Stiefmutter und ich nannte sie
Mama -
arbeitete zur dieser Zeit in der
angrenzenden Werdenfelser Kaserne als Küchenhilfe. Mein Vater
hatte sich vier Monate nach meiner Geburt von meiner
leiblichen
Mutter scheiden lassen und das Sorgerecht für mich erhalten.
Er
heiratete gleich wieder, nachdem er die Aufmerksamkeit meiner Mama, die
zuerst am Niederrhein Krankenschwester war, durch eine Anzeige in der
Schwesternschülerzeitung, mit folgendem Text erregte: "Klein
Peter
sucht Mama!".
In der Lindenthalstraße, uns
gegenüber war die
Hausnummer 24. Dort wohnten die Familien Müller, Vogel, Ried, Türk, Sauerhöfer und Effler. Frau Effler war Kriegerwitwe und hatte zwei Töchter. Ihre älteste hieß Hiltrud. Sie war eine
blonde, sehr schöne Frau und Rolf war ihr Sohn. Rolf war knapp zwei Jahre
jünger als
ich. Er war nicht schon immer da aber auf einmal war er da und ich habe
mich schnell mit ihm angefreundet. Ein kleiner Junge mit rabenschwarzem
Haar und einem dunklen Teint. So einen kleinen Bruder hatte ich mir
immer gewünscht.
Peters
Vater Adolf und der tapfere Bogenschütze Rolf
Anfang
der 60er Jahre - Lindenthalstraße 25
|
Peter
vor der Lindenthalstraße 25 - 1960/61
|
Ich
hatte keine Geschwister
und somit waren die Kinder aus der Nachbarschaft die Ersatzgeschwister
und sehr wichtig für mich. Jeden Tag war ich draußen
beim
Spielen und vor allen Dingen mit Rolf. Ich glaube, manchen
Müttern
war es gar nicht so recht, dass ich jeden Tag dauernd vor der
Tür
stand und nach meinen Freunden klingelte.
Bald erfuhr
ich, dass Rolf
gar nicht Effler hieß und dass Rolf einen arabischen Vater
hatte. Das war aber für uns Kinder erst mal nicht weiter
interessant und wichtig. Rolf hieß also nicht Effler
sondern
Mitwalli, ein arabischer Name. Rolf war mein "Bruder". Wir spielten
viel miteinander. Ich weiß nicht wie viel Jahre es waren, drei
vielleicht.
Dann kam der
Tag, an dem Rolf
wegzog. Ich hörte dass er nach Niederbayern zog aber wie auch
immer,
er war erst einmal weg und ich war traurig darüber. Es war ein
Verlust für mich...
Wir
haben uns beide
völlig aus den Augen verloren. Ich habe aber immer mal wieder
an
Rolf gedacht und gehofft und fest daran geglaubt, dass wir uns einmal
wiedersehen würden, wie es ja auch 40 Jahre später geschah.
1957 BMW Isetta 600,
erstes Auto von Peters Vater
Beide Modelle, die Isetta und der Ghia sind heute im Deutschen Museum in
München zu sehen.
Peters Kommunion 1964
im Lindenthal vor Vaters VW Kharmann-Ghia
In
unserem Haus, in der
Lindenthalstraße 25, lebten die Familien Pichler, Hamburger, Bleisteiner, Kaiser
und
auch die Familie Zang. Da waren zwei große Buben, die ich
immer
sehr bewundert habe. Frau Zang war eine sehr liebevolle Mutter und
immer fröhlich. So auch ihre beiden Buben, immer lachend und
einen
witzigen Spruch auf den Lippen also voll cool eben. Zangs hatten einen
Fernseher und der jüngere Sohn Roland ließ mich
immer mal
mit Fernsehen, damals noch in Schwarz-Weiß. 'Raumschiff
Orion'
und später 'Die kleinen Strolche' waren Meilensteine in meiner
Karriere als Fernsehzuschauer. Der ältere Bruder von Roland,
Dieter hatte im Keller ein Schlagzeug stehen......
Geschichte
Nr. 2:
Musikvirus
Mein
Jahrgang (1955) wurde
1961 eingeschult. In dem Jahr, in dem John F. Kennedy als
Präsident der USA vereidigt und die Berliner Mauer gebaut
wurde.
Dann war da noch Kosmonaut Juri Gagarin, der erste Mann im All und die
Beatles, sie starteten ihre Karriere im Cavern Club in Liverpool. Ben
Hur und Lawrence von Arabien, vielleicht unsere Lieblingsfilme,
entstanden 1959 und 1962. Das waren meine ersten Filme, die ich im
Murnauer Hutter-Kino sehen durfte. Unvergesslich die stahlblauen Augen
der beiden Hauptdarsteller Charlton Heston und Peter O´Toole
und
vielleicht das Wichtigste, die Musiken von Maurice Jarre und Miklós Rózsa aus Lawrence von
Arabien und Ben Hur.
Das Schlagzeug von Dieter im Keller von Lindenthalstraße 25 hat mich
maßgeblich beeinflusst. Oder war es doch 'The Animal' von den Muppets? Ich war hingerissen von dem kraftvoll
zu
spielenden Instrument, von den Trommeln und Becken. Nachdem mir Dieter
die ersten Handgriffe gezeigt hatte, begann ich wie ein Besessener auf
meinen Oberschenkeln oder auf den Mülltonnen oder einfach
überall die Unabhängigkeit beider Hände mit
Stöcken
oder der flachen Hand zu üben. Rhythmus, Schlagzeug und Musik
wurden fortan mein Leben.
Mein Vater hatte eine kleine Goldschmiedewerkstatt in unserer Wohnung.
Darin befand sich auch ein Radio, aus dem ich oft Musik hörte.
Da
waren die Hitparade am Freitag des BR, dann ein guter Sender
für
die damalige Tschechoslovakei, zu hören etwa bis 1968 dem
Revolutionsjahr voll mit Beatles-Songs oder später der AFN,
ein
amerikanischer Sender über den ich schon früh mit
sogenannter
"schwarzer" Musik in Berührung kam. "Schwarze" Musik, gespielt
von
Afroamerikanern, ist meine Lieblingsmusik bis heute.
Goldschmiede arbeiten mit dünnen Feilen, sogenannten
Nadelfeilen.
Der Arbeitsplatz ist voll von wunderschön klingenden
Gegenständen, wie z.B. einem Wasserglas zum Ablöschen von
geglühtem Gold und Silber oder einem sogenannten Bretteisen, einem
planen Stück schweres Eisen zum Schmieden von kleinen Teilen
auf
dem Arbeitstisch. All diese Dinge wurden von mir mit den Feilen und
großer Begeisterung bespielt.
|